Teil
1
Am
Weihnachtsabend
Josefine
hieß sie, die neue Puppe. Sie lag unterm Weihnachtsbaum und Lotte
hatte sie gleich gesehen, als sie das festlich geschmückte
Wohnzimmer an der Hand ihrer Mutter betrat.
Obwohl
der hohe und weite Raum nach Zimt, Orange und Tannennadeln duftete,
obwohl an den Wänden goldfarbige Lichter aus Glas hingen und obwohl
leise, beruhigende Musik, wie von Engeln gesungen, ertönte, konnte
man Josefine einfach nicht übersehen mit ihren langen, fransigen
roten Haaren, ihrem freundlichen Lächeln und dem knallbunten Kleid,
unter dem dünne, weiche Beine hervorsahen. Unruhig war Lotte vor dem
Weihnachtsbaum in der Mitte des Wohnzimmers stehen geblieben. Ihr
ganzer Körper kribbelte vor Aufregung und dem Wunsch, endlich die
Geschenke zu erhalten. Während Lotte mit Mama und Papa sowie den
älteren Geschwistern Emil und Ylvie die Weihnachtslieder sang, die
wie in jedem Jahr von Papa auf dem Klavier begleitet wurden, konnte
Lotte ihren Blick nicht von der hübschen Puppe lassen. Es schien ihr
fast, als würde Josefine ihr zuzwinkern. Noch nie zuvor hatte Lotte
so eine wunderschöne Puppe gesehen oder gar besessen. Bisher hatte
sie ihren kuscheligen Stoffbären Brummeli gehabt, der sich wunderbar
weich an ihren Körper schmiegte, wenn sie abends unter ihre
Bettdecke schlüpfte. Ihm erzählte sie ihre Sorgen, er flüsterte
Worte des Trostes, wenn sie sich mit ihren älteren Geschwistern Emil
und Ylvie gestritten hatte und, und das war das Wunderbarste, diese
Worte konnte nur sie, Lotte, verstehen.
Doch
nun bekam sie eine Puppe und das war etwas ganz Anderes als ein Bär!
Mit einer Puppe konnte man auch kuscheln, sie konnte trösten, man
konnte ihr die Sorgen erzählen, natürlich, aber, und das machte sie
zu etwas Besonderem, sie konnte in wesentlich mehr Rollen schlüpfen
als ein Kuschelbär.
Mit
ihrer besten Freundin spielte Lotte im Kindergarten oft Vater, Mutter
und Kind. Wie gut würde sich Josefine für dieses Spiel eignen. Ohne
Probleme würde die Puppe sowohl die Rolle der Mutter als auch des
Kindes übernehmen können. Wenn man ihr eine Mütze oder Kappe über
ihre langen roten Haare stülpte, war sogar die Rolle des Vaters
möglich.
Lotte
würde die Puppe frisieren können, ihr Zöpfe binden oder die Haare
flechten. Sie könnte ihr neue Kleider anziehen, was bei einem Teddy
zwar möglich, aber doch auch etwas lächerlich war, denn schließlich
hatte ein Teddy keine langen Haare zum Kämmen und Lotte fand, dass
sie mit ihren fünf Jahren einfach zu groß war, um den Bären
Brummeli ständig umzuziehen.
Nach
dem Singen der Weihnachtslieder durfte das jüngste Kind mit dem
Öffnen der Geschenke beginnen, das war in jedem Jahr so. Lotte war
das jüngste Kind. Ihr wurde es abwechselnd kalt und heiß, weil sie
nervös war. Ganz vorsichtig trat das Mädchen an den Weihnachtsbaum
heran, bückte sich und zog langsam die Puppe an einem Arm unter dem
Baum hervor. Sie drückte das weiche Stoffpüppchen in ihren Arm, gab
ihm einen Kuss auf den roten Mund und sprach: „Josefine sollst du
heißen, Josefine ist ein schöner Name, aber vielleicht werde ich
dich auch öfter mal Fine nennen, weil das ein bisschen kürzer ist,
weißt du.“ Die Puppe war damit gleich einverstanden, Lotte hatte
es gespürt, denn es schien ihr, als würde sie Lotte schon wieder
zuzwinkern.
Den
ganzen Abend, als die Familie an dem großen mit einer weißen
Tischdecke gedeckten Esstisch im Wohnzimmer saß und das köstliche
und duftende Federvieh verzehrte, als die Familie nach dem Essen die
Autorennbahn von Emil aufbaute und ausprobierte und als alle mit
Ylvies Holz-Zoo spielten, hielt Lotte ihre neue Freundin fest an sich
gedrückt. Sie konnte ihr Glück noch gar nicht fassen. „Siehst du
Finchen, das ist mein Bruder Emil. Er hat sich eine Autorennbahn
gewünscht und schau, wie er sich freut. Am liebsten spielt er mit
Papa, guck, wie die beiden um die Wette fahren. Ich glaube, Papa ist
heute auch noch einmal ein kleiner Junge geworden. Hast du bemerkt,
wie seine Augen glänzen?“
Lotte
lief mit Josefine durchs ganze Haus, um ihr das neue Heim zu zeigen.
In einer Niesche in dem geräumigen Flur stand das Körbchen von
Boss, dem alten Collirüden. Lotte hielt ihre Puppe mit beiden Händen
weit nach vorn.„Boss, sieh mal“, das ist Josefine, meine neue
Freundin.“ Der Hund trottete an Lotte heran und schnupperte mit
seiner schwarzen feuchten Nase an den roten, wuscheligen Haaren der
Puppe. „Sie wird ab heute bei uns wohnen, weißt du. Sei bitte ein
bisschen nett zu ihr und belle nicht so laut, damit sie sich bei uns
auch wohl fühlt, ja?“, forderte Lotte den Collie auf, der, als er
verstanden hatte, sich zurück zu seinem Körbchen schleppte,
sich hineinlegte und die Augen schloss.
Am
späten Abend, als Lotte schon im Bett lag, machte sie Josefine mit
Brummeli bekannt, denn ab heute mussten sie sich zu dritt den Platz
im Bett teilen. Lotte legte ihren Bären auf das Kopfkissen rechts
neben ihrem Kopf, Josefine nahm sie in den Arm. Dann zog sie die
weiche Bettdecke über ihren Kopf, drehte sich auf die rechte Seite,
sodass eine kleine Höhle entstand. Es war ein wundervolles Gefühl,
sicher und geborgen zu liegen und von Brummeli und Finchen umgeben zu
sein. „Stille Nacht, heilige Nacht“, sang Lotte ihren
Bettgefährten vor, dann schlief sie tief und fest ein.
Das ist eine wunderschöne Geschichte liebe Birgit, es kommen Erinnerungen auf, an Weihnachten in meiner Kinderzeit, an wunderbare Momente, danke...
AntwortenLöschenLiebe Grüsse Dir
Hans-Peter